Mode 1924
In der Damenmode kristallisiert sich 1924 eine gerade und schlanke Linie heraus. Der schmale enge Rock löst dieses Jahr den weiten, Falten werfenden Rock des letzten Jahres vollständig ab. Das eng anliegende, schon fast röhrenartig geschnittene Kleid, das sogenannte Futteralkleid, wird zum Favorit der Frühjahrsmode. Unterbrochen wird diese gerade Silhouette bei einigen Kleidern nur durch einen weiten Volant z.B. aus Plisseestoff, der aber frühestens am Knie ansetzt und den Saum glockig erweitert oder beim Gehen weit ausspringt. Einfachheit und schlichte Kleiderschnitte geben der Mode dieses Jahr eine überaus sportliche und jugendliche Note.
Auch der knöchellange Rock des Vorjahres ist überholt und zeigt sich in diesem Frühjahr schon wieder um einige Zentimeter kürzer. Bereits am Ende des Jahres erreicht der Rocksaum wieder die Wade. Die Gürtellinie verbleibt sehr niedrig auf Hüfthöhe, wobei viele Kleider erst gar nicht mit Gürtel getragen werden, da dieser etwas aus der Mode gekommen ist.
Kasack Bluse und Hemdkleid
Der Straßenanzug der Dame im Frühjahr, der möglichst zwanglos und sportmäßig erscheinen soll, besteht aus einem kurzen Jäckchen, einem Rock und einer Kasack. Die Kasack, eine sehr lange Bluse, die meist mit Gürtel getragen wird und eigentlich aus der Sportmode stammt, ersetzt in diesem Jahr die Bluse. Die Kasack wird anders als die Bluse über dem Rock getragen und ist manchmal so lang, dass die Kasack den Anschein eines Kleides erweckt und der Rock oft nur um wenige Zentimeter unter ihr hervorschaut. Häufig wird unter einer langen Kasackbluse lediglich ein Unterhemd mit angenähtem Rockansatz getragen, der nur aus einem Streifen Stoff besteht. Rips, Flanell, Alpaka und Trikotstoff sind wie geschaffen für diese lange Bluse, die natürlich farblich auf das restliche Kostüm abgestimmt sein sollte. Sind Jäckchen und Rock einfarbig, kann die Kasack in bunten Farben oder Musterungen gewählt werden. Eine helle, einfarbige Kasack sollte dagegen gewählt werden, wenn Jacke und Rock aus gestreiftem, kariertem oder schottischem Stoff gearbeitet sind.
Das Kleid präsentiert sich 1924 im einfachen Schnitt. Die Linienführung ist der eines Hemdes sehr ähnlich und fällt von der Schulter gerade ab. Die aber nur auf den ersten Blick schlicht wirkenden Hemdkleider erhalten ihren besonderen Reiz durch feine aber aufwändige Kleinigkeiten, die möglichst diskret wirken sollen. Mühselige Handarbeiten, Steppereien, Hand- und Maschinenstickereien, eingearbeitete Schürzenteile, Bordüren und Applikationen aus Blenden geben jedem Kleid einen eigenen Charakter. Die Stickereien sowie die Musterungen der Kleiderstoffe verlaufen überwiegend quer.
Kurze Ärmel, Schals und Farbe Rot modisch
Gerade im Frühjahr und Sommer zeigen viele Kleider kurze Ärmel. Nachmittagskleider für warme Tage sind dagegen durchweg ärmellos. Bevorzugte Farben sind in diesem Jahr Braun in allen Abstufungen, helle Grautöne oder Beige. Gerne kombiniert werden diese Farben mit der diesjährigen Modefarbe Rot, die in allen Schattierungen auftaucht. Vor allem Geranium-, Siegellack- und Tomatenrot sind am beliebtesten und werden - hauptsächlich bei Hut, Schal oder der Kasack - effektvoll eingesetzt.
Eine besondere Bedeutung erlangt in diesem Jahr der Schal, der schon zu Beginn des Jahres äußerst populär ist und zu einem wichtigen Accessoire der Mode avanciert. Die Zeitschrift Die Dame bemerkt im ersten Dezemberheft, dass „[j]edes zweite Kleid […] heute einen Schal, eine Krawatte oder eine Schleife [hat]. Irgendetwas Flatterndes muss es sein.“1 Große Schleifen werden aus einem sehr langen, gerne auch zweifarbigen Schal, der z.B. aus Chiffon sein kann, gebunden, wobei die Enden bis zum Knie herabfallen können. Krawatten werden durch den Stoff des Kleides geführt und sind manchmal so grotesk lang, dass sie bis zum Saum des Kleides herabreichen. Einen ähnlichen Effekt erzielen Beffchen und Jabots, die an das Directoire erinnern. Einige Kleider verzichten gänzlich auf den Kragen und besitzen stattdessen einen angeschnittenen Schal. Im Sommer wird der Schal vermehrt durch ein buntes Tuch ersetzt.
Kleiner Hut weiterhin Favorit
Kleine Hüte mit überaus schmaler, kurzer Krempe bleiben bei den Damen sehr populär. Ein Paar dieser kleinen Hüte in zylindrischer Form zeigen kurze, aber auch hohe Kopfformen, wohingegen Hüte in Glockenform meist überaus eng und knapp am Kopf anliegen. Pedal- und Pikotstroh, Tüll, Panne, Filz und Samt sind die am meisten verarbeiteten Materialien für Hüte. Ripsbänder in allen Breiten und Färbungen, Blüten, Schluppen, Schleifen, Rosetten, bunte Stickereien, Hutnadeln und sogar Rüschen und Knöpfe aus Metall oder Perlmutt dienen als Aufputz der sonst so schlichten Hüte. Japanischer Einfluss offenbart sich in der Formgebung oder durch Hutgarnituren in roter Lackfarbe. In den Sommermonaten erobert sich auch der ganz große Hut mit überweiter Krempe seinen Platz in der Mode. Vor allem diese Sommerhüte präsentieren zarte Reiherfedern, Ripsbänder und Blumen, die auch über die breite Krempe hinausreichen.
Herbstmode zeigt wenige Neuerungen
Eine zunehmende Bedeutung erlangt in der Herbstmode 1924 das zwei- und dreiteilige Kostüm, das auch als Ensemble oder Complet bezeichnet wird. Der zweiteilige Anzug bestehend aus Kleid und Mantel ist zweifelsohne eleganter als der dreiteilige Anzug aus Kasack, Rock und Mantel, der viel sportlicher und damit legerer wirkt. Charakteristisch für die herbstliche Linie ist die Beibehaltung der geraden, röhrenartigen Linie von Kleid und Mantel wobei auch erste Kleider mit glockigen Röcken in eine neue Richtung der Mode weisen. Der Modestoff des Herbstes ist Rippenseide (Ottoman) neben Kunstseide und Samt. Leichte Anklänge an die Epochen des Directoire und Empire und chinesische Einflüsse, die sich in Stickereien sowie durch kleine Chinesenkrägelchen oder offene Pagodenärmel äußern, sind spürbar.
Directoire-Mantel, Paletot und Pelzmantel
Die Vorliebe für die Mode des frühen 19. Jahrhunderts macht sich vor allem durch Jabots, hochgeschlossene Kragen und den zweireihigen Directoire-Mantel bemerkbar, dessen Reversklappen und Kragen besonders ausladend geformt sind und mit Pelz besetzt sein können. Ähnliche Anklänge weisen Mäntel mit Kutscherpelerine auf. Schlicht dagegen wirkt der männliche Paletot aus englischem Stoff, der vorzugsweise vormittags getragen wird, mit leichter Taillierung, Klappentaschen und schwarzem Samtkragen. Am besten passt der Paletot zu herrenmäßig wirkenden Hemd- und Mantelkleidern mit Krawatte und Ledergürtel. Reicher Pelzbesatz von Leopard, Hase, geschorenem Lamm, Chinchilla, Gazelle, Affe oder Ziege zeigen sich dagegen an den übrigen Herbstmänteln. Persianer, Breitschwanz, Hermelin und Nerz sind die vorranigen Arten für Pelzmäntel.
Luxus in der Abendmode
Abendkleider können nicht aufwendig und luxuriös genug sein. Teure und edle Stoffe wie farbige Brokate, Seiden, Spitzenstoffe, Chiffon, Gold- und Silberlamé sowie funkelnde Strass- oder Perlenverzierungen oder Seidenstickereien bereichern die im Schnitt so einfachen Kleider, die in ihrer Form einem Kittel oder Leibchen ähneln. Auch hier wird nicht auf einen langen, geschlungenen Tüllschal verzichtet. Die Abendkleider sind dabei fast ausnahmslos ärmellos. Als passender Kopfschmuck zur Abendgesellschaft sind Diademe die begehrtesten, die mit Strass, funkelnden Glassteinchen und seltener mit edleren Steinen besetzt sind. Auch Bandeaus im Empire-Stil oder mit seitlich herabfallenden Bändern, Kopfputz aus Galalith, Turbane aus Goldstoff und Netze aus Perlen und farbigen Steinchen mit herunterhängenden Ketten zieren die Köpfe der eleganten Damen. Aber auch Kopfbänder mit Stickereien oder Stoffblüten sind hoch im Kurs.
Eine besondere Abwechslung zur formlos, geraden Kleiderform bietet der Dame, die eine weibliche Silhouette bevorzugt, das Stilkleid. Dieses zeichnet sich durch einen weit ausgestellten Rock von der Hüfte bis zum Saum aus, während das Oberteil des Kleides in der geraden Linie der aktuellen Mode gehalten ist. Das Stilkleid ist besonders bei abendlichen Anlässen beliebt. Aber auch als Nachmittagskleid findet das Stilkleid Anhängerinnen und wird in den Sommermonaten vorzugsweise mit einem breitkrempigen Hut getragen.
Kinderkleidung
Die Kindermode ist der Mode der Großen sehr ähnlich. Besonders die Kleidchen und Kittelchen für kleine Mädchen weisen, wie ihre großen Vorbilder, die tiefen Gürtellinien und die formlose und gürtellose Linie auf. Knopfleisten, Umlegekrägelchen und Schleifchen sind den Damenkleidern abgeschaut. Karierte Stoffe für Kleidchen und Mäntel sind ebenso oft anzutreffen, wie gehäkelte und gestrickte Kleidchen und Anzüge für alle Altersstufen.
Für Jungen werden in US-Versandhauskatalogen waschbare Spielanzüge aus Khaki, Jeansstoff oder auch Batist angeboten. Viele dieser Spielanzüge sind Militär- oder Polizeiuniformen nachempfunden und auch Baseball- oder Indianerspielanzüge werden gerne gekauft. Besonders beliebt sind in den Vereinigten Staaten, genauso wie in Europa und dem Deutschen Reich, Marine- und Matrosenanzüge für kleine Jungen. Ihre ersten langbeinigen Hosen erhalten Jungen meist im Alter von ungefähr 10 Jahren, wenn ein Anzug für einen besonderen Anlass gekauft wird. Bis zu diesem Alter, aber auch darüber hinaus, tragen Jungen Anzüge mit kurzen Hosen, die mit Kniestümpfen getragen werden.
Versandhausgeschäft im Wandel
Die Mode der amerikanischen Versandhäuser ist zu Anfang der Zwanziger Jahre noch sehr up to date und greift aktuelle Trends zeitnah auf. In den Katalogen wird eine riesige Auswahl verschiedenster Kleidung in allen Varianten angeboten.
In der Mitte der Zwanziger jedoch treten die US Versandhäuser verstärkt in Konkurrenz mit Geschäften und Kaufhäusern in den amerikanischen Kleinstädten. Die Hauptzielgruppe der Versandhäuser, die Farmer und Landbevölkerung in den abgelegenen Regionen der USA, können sich - begünstigt durch die Massenproduktion und den zunehmenden Wohlstand - zunehmend erschwinglich gewordene Automobile leisten. Als Reaktion auf das sich verändernde Konsumverhalten etablieren große Versandhäuser wie Sears und Montgomery Ward ab 1925 eigene Einzelhandelsketten in Klein- und Großstädten und verringern die Produktpalette ihrer Kataloge, um auch preislich konkurrieren zu können. Die Aktualität der angebotenen Mode fällt hinter der der Haute Couture zurück. So werden aktuelle Trends erst nachdem sie sich allgemein durchgesetzt haben, mit zeitlicher Verzögerung, in den Katalogen wiedergegeben.
Mode aus Katalogen und Zeitschriften des Jahres 1924
Fußnoten
1 O. V., ohne Titel, in: Die Dame, Nr. 6 (52), Erstes Dezemberheft 1924, S. 21.