Der Erste Weltkrieg

Schauspielerin Lilli Flohr in einem Straßenkleid mit Wollstickereien — Elegante Welt, Nr. 25 (6), Dezember 1917. Foto: Becker & Maaß

Frauenarbeit an der Heimatfront

Frauen an der franzöischen Heimatfront: Zuschnitt von Brettern für Baracken (A), Beschnitt von Patronenhülsen (B), Arbeit an Drehbänken einer Munitionsfabrik (C) Le Miroir des Modes Heft Nr. 6, Juni 1917, S. 204

Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs im August 1914 war der Anfang vom Ende des Humpelrocks und der exotisch extravaganten Orientwelle Poirets. Als offensichtlich wurde, dass der Krieg nicht innerhalb weniger Wochen oder Monate zu gewinnen war und Millionen Männer in Europa zum Kriegsdienst einberufen wurden, um in den Schützengräben Flanderns zu kämpfen, begann man die frei gewordenen Stellen in den kriegswichtigen Rüstungsbetrieben notgedrungen sukzessiv mit Frauen zu besetzen. Während Frauen zuerst die Arbeiten in Verwaltung, Fabriken und Verwundetenlazaretten übernahmen, kamen mit Verlauf des Kriegs mehr und mehr technisch und körperlich fordernde Berufe, die vorher ausschließlich Männern vorbehalten waren, in der Schwerindustrie, Landwirtschaft und auch im Bergbau hinzu.1

Die Hektik der arbeitsreichen Kriegszeit und der schwere körperliche Einsatz der Frauen erforderten einen praktischen und zugleich bequemen Kleidungsstil, der kaum Extravaganzen zuließ. Angestellte Frauen, die Bürotätigkeiten in der Verwaltung übernahmen, trugen lange Röcke aus dunklen Wollstoffen und Blusen aus Seiden- oder Baumwollgarnen mit dazu passenden hüftlangen Jacken und hohem Taillengürtel. Diese geschneiderten Kostüme im Norfolk-Stil gehörten bereits vor dem Krieg für berufstätige Frauen zur Grundausstattung der Garderobe. Uniformen wurden für Frauen, die ihren Dienst als Polizistinnen, Schaffnerinnen, Krankenschwestern, Armeehelferinnen oder auch als Krankenwagen- und Lastwagenfahrerinnen verrichten, alltäglich. In der Schwerindustrie trugen Frauen sogar Hosen und verzichteten auf Korsetts, um ihre Arbeit ungehindert verrichten zu können. Bei der Arbeit mit Maschinen war das Tragen von offenem Haar ein ernstes Sicherheitsrisiko, das durch das Tragen von Hauben und Mützen reduziert wurde. Die Haare wurden üblicherweise zusammengebunden und als Haarknoten im Nacken getragen. Erste Frauen wurden durch das Tragen von Kurzhaarfrisuren zu Vorreiterinnen einer Moderevolution und dadurch auch gleichzeitig zu symbolischen Vorboten eines gesellschaftlichen Wandels, der sich nach dem Krieg vehement fortsetzte.

Zwischen Kriegskrinoline und Stoffmangel

Modekarikatur: „Der Krieg ist lang, aber die Röcke sind kurz!“ — französische Satirezeitschrift Le Rire Rouge, 1916. Aus: Wendel, Friedrich, Die Mode in der Karikatur, Dresden 1928, S. 261
Titelseite der Doppelausgabe der Eleganten Welt mit einem Motiv der Verwundetenpflege — Elegante Welt, Nr. 37/38 (3), 23. September 1914. Illustration: unbekannt
Bildnis Kaiser Wilhelms II. auf dem Titel der deutschen Modezeitschrift Elegante Welt — Elegante Welt, Nr. 2 (6), 27. Januar 1917. Illustration: Alfred Schwarz (1867-1951)

Auch die allgemeine Mode musste sich zwangsweise der neuen Kriegssituation anpassen. Im Winter 1914/15 entwickelten sich die kleinen Krinolinen der Frühjahrssaison 1914 zu immer weiter ausgestellten Röcken, die 1916 ihre größte Weite erreichen, dafür aber kaum mehr als wadenlang waren. Die Kriegskrinoline gewährte ihrer Trägerin größere Schritte und deutlich mehr Bewegungsfreiheit, benötigte allerdings eine deutlich größere Menge an Stoff. Passend zu den weiteren Röcken wurden auch die Mäntel weiter geschnitten, so dass ein großzügiger Faltenwurf auch den Mänteln eine neue Linie gab. Übergroße Taschen, in denen praktischerweise viele Kleinigkeiten verstaut werden konnten, und große Knöpfe komplettierten diese neue Laune der Mode.

Zunehmende Stoffknappheit, steigende Preise und die Rationierung von Stoffen, die zunehmend nur noch auf Bezugsschein erhältlich waren, bedingten das Ende der verschwenderischen Kriegskrinoline ab dem Frühjahr 1917. Kleider in Boule-Form, Ballonkleider oder der sogenannte Tonnenrock mit bauschiger Stofffülle um die Hüfte, aber engem, schmalem Saum nahmen den Platz der Krinoline ein. Um noch mehr Stoff zu sparen, wurden die Aufmachungen und Kleiderschnitte vereinfacht, unnötiger Aufputz und Zierrat verschwand. Diese neue Einfachheit, die vorrangig aus der Not heraus entstand, avancierte zum neuen Leitbild der Mode im Krieg und weit darüber hinaus. Profiteurin und Wegbereiterin dieser neuen Schlichtheit war Coco Chanel, die ihre Karriere als Modistin (Hutmacherin) begonnen hatte und zwischen 1913 und 1915 ihre eigenen Modesalons und Boutiquen in mondänen französischen Kur- und Badeorten wie Deauville und Biarritz eröffnete.2

Die seit 1914 geschlossene britische Hochseeblockade schnitt die Mittelmächte so erfolgreich von den internationalen Handelsnetzen und überseeischen Märkten ab, dass es im Kriegsverlauf zu immer gravierenderen Versorgungsengpässen der Bevölkerung mit Grundnahrungsmitteln und anderen Gütern des täglichen Bedarfs kam. Das Hindenburg-Programm der 3. Obersten Heeresleitung (OHL) vom August 1916 machte aus dem Deutschen Reich „faktisch eine Militärdiktatur“3, die versuchte alle verbliebenen wirtschaftlichen Reserven zu mobilisieren, um den ersten totalen Krieg der Moderne doch noch für sich zu entscheiden.

Infolgedessen erhielt die Rüstungsindustrie den absoluten Vorrang vor der zivilen Konsumgüterproduktion.4 Die Gründung der „Reichsbekleidungsstelle“ im März 1916 sollte der Bewirtschaftung der Stoffvorräte sowie einer verbesserten Verteilung von Textilwaren an die Bevölkerung dienen. Gleichzeitig wurden Bezugsscheine eingeführt, welche die Zuteilungen von Kleidung und Schuhen regelten und sicherstellten, aber vor allem rationierten. Das bereits bestehende „Bekleidungsbeschaffungsamt“, das dem Kriegsamt unterstand, stellte die Versorgung des Heeres mit Uniformen und anderen Textilien sicher. Reichsweit entstanden kommunale Kleidungsverwertungsstellen und Sammelstellen für gebrauchte Alttextilien aus privaten Haushalten.5

Gesellschaftliche Nachwirkungen des Weltkriegs

Titelblatt der US Modezeitschrift The Delineator mit einem Doughboy, der eine Fahne mit der Aufschrift „Liberty“ (dt.: „Freiheit“) in den blutigen Boden Europas stößt. Eine Propagandaanzeige in der Ausgabe zeigt verurteilte Verräter und Spione und warnt vor weiteren „Huns“ — The Delineator, Juli 1918. Illustration: William Balfour Ker (1877–1918)

Obwohl alle Aktivitäten der Frauenrechtlerinnen und ihrer Organisationen mit Ausbruch des Kriegs zu einem völligen Stillstand kamen und sich alle Anstrengungen nun gänzlich auf die jeweilige nationale Sache konzentrierten, führte gerade der Erste Weltkrieg zu einem ersten Erfolg der Frauen im Bestreben nach mehr Rechten, gesellschaftlicher Anerkennung und Emanzipation. Kurz nach dem Weltkrieg erhielten Frauen in Großbritannien das eingeschränkte (1918), dem Deutschen Reich (1919) und den USA (1920) das volle Wahlrecht, für das Suffragetten bereits seit Jahrzehnten mit geringem Erfolg gekämpft hatten. Während des Krieges hatten Frauen - wie Männer - viele Opfer gebracht und unter Beweis gestellt, dass sie ein gleichwertiger Bestandteil der Gesellschaft und zu gleichen Leistungen wie Männer fähig waren.

Aus der heutigen Perspektive kann der Erste Weltkrieg in erster Linie als eine gesellschaftliche sowie politische Zäsur gesehen werden, der die alte Ordnung, das althergebrachte Rollenverständnis und den Zeitgeist des ausgehenden 19. Jahrhunderts nicht nur in Frage gestellt, sondern auch nachhaltig erschüttert hat. Nach dem Krieg war vieles nicht mehr wie vorher. Er hinterließ auf der einen Seite eine traumatisierte Generation junger Männer und auf der anderen Seite eine Generation von Frauen, die erstmals in den Genuss von relativer Selbständigkeit und Unabhängigkeit gekommen waren und damit ein neues Selbstbewusstsein entwickeln konnten. Das Lebensgefühl der unmittelbaren Nachkriegszeit war geprägt von Vergnügungssucht, ungeheurer Lebenslust und dem Gefühl noch einmal davon gekommen zu sein. Tanzveranstaltungen, Theater, Nachtlokale, Kabaretts und Kinos waren überfüllt, das kulturelle Leben blühte erneut auf und das neue anbrechende Jahrzehnt verheiß eine neue Ära, die im Nachhinein als die Goldenen Zwanziger in die Geschichte eingehen sollte.


Fußnoten

1 Vgl. Worsley, Harriet, Fashion. 100 Jahre Mode, Königswinter 2004, S. 66.

2 Vgl. ebda., S. 66-67.

3 Jacobeit, Sigrid, Illustrierte Alltags- und Sozialgeschichte Deutschlands 1900-1945, Münster 1995, S. 45.

4 Vgl. ebda., S. 45-46.

5 Vgl. ebda., S. 293.

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