Weltwirtschaftskrise und erneuter Konservatismus
Die Mode der frühen 30er Jahre zeigt eine Abkehr von der androgynen Mode der der vorigen Dekade und eine wiederentdeckte Vorliebe für weibliche Linien. Die unabhängigen, wilden Flapper der Zwanziger Jahre werden in den Dreißiger Jahren zu eleganten Damen, die sich durch damenhafte Zurückhaltung und dezente Weiblichkeit auszeichnen. Ein gesellschaftlicher Wandel zu konservativen Werten und Ansichten hat sich bereits in den späten Zwanzigern abgezeichnet und wird durch die Weltwirtschaftskrise ab 1929 noch deutlich verstärkt. Die jungen Mädchen und Frauen, die die Auswirkungen des Ersten Weltkriegs noch hautnah miterlebt haben, sind älter geworden und der unmittelbare Eindruck des Weltkriegs ist verblasst. Eine neue Generation ist herangewachsen, die den Ersten Weltkrieg nicht bewusst miterlebt hat. Wie so oft in der Geschichte folgt nach einer Zeit der radikalen Neuerungen eine Zeit der Restauration - eine Rückbesinnung auf alte, traditionelle Werte.
Die beginnende Weltwirtschaftskrise ab Oktober 1929 hat zuerst kaum Auswirkungen auf die Modeindustrie. Zeitschriften und Versandhäuser nehmen vorerst kaum Notiz von der sich zuspitzenden Wirtschaftslage. Erst drastisch zurückgehende Umsätze in der zweiten Jahreshälfte 1930 veranlassen viele amerikanische Versandhäuser zum Handeln. Während einige Versandhäuser wie Sears, Roebuck and Co., Montgomery Ward oder National Bellas Hess ihr Warensortiment drastisch einschränken, verschwinden andere wie z.B. Hamilton Garment and Co. vom Markt oder fusionieren mit anderen Versandhäusern wie die Firma Charles William Stores, um die Wirtschaftskrise zu überstehen.
Auch viele Zeitschriften büßen nicht nur Abonnentinnen ein. Viele Unternehmen schränken ihre Werbebudgets massiv ein oder verzichten gänzlich auf Werbung. So schrumpft allein der Umfang des Ladies Home Journals, der größten US Frauenzeitschrift, die vor der Weltwirtschaftskrise auf monatliche Ausgaben mit bis zu 250 Seiten kam, bis 1932 auf unter 100 Seiten je Ausgabe, da schlicht und ergreifend die Werbekunden ausbleiben. Selbstschneidern, Ausbessern und Umschneidern alter Kleider und der Verzicht auf den Kauf neuer Kleidung werden zur Notwendigkeiten in den frühen Dreißiger Jahren. Nahezu jede Frauenzeitschrift bietet Schnittmuster für ihre Käuferinnen an, um diese zu unterstützen und sie als Leserinnen zu halten.
New Deal & NRA
Nicht nur im Deutschen Reich, auch in den USA ändert sich 1933 die politische Lage. Am 4. März tritt der Demokrat Franklin Delano Roosevelt die Präsidentschaft als Nachfolger des scheidenden Herbert Hoover an. Seine neue New Deal Politik beinhaltet eine große Bandbreite an staatlichen Interventionen die eine wirtschaftliche Erholung unterstützen sollen. Viele neue staatliche Behörden werden gegründet, darunter auch die NRA (National Recovery Administration) die unter anderem Mindestlöhne und sogar die Festsetzung von Mindestpreisen durchsetzt und damit schwerwiegende Eingriffe in den freien Markt bedeuten. Als Zeichen der Unterstützung von Handel und Industrie erscheint ab 1933 in Schaufenstern, Werbeanzeigen und auf Covern von Versandhauskatalogen und Magazinen das Zeichen des Blauen Adlers mit der Bildunterschrift „We do our Part“ (dt.: „Wir tragen unseren Teil bei“).
Die wirtschaftliche Situation in den USA beginnt sich 1933 nur langsam zu erholen. Die deflatorische Preisspirale wird, nicht zuletzt wegen der Festsetzung der Preise der New Deal Politik und der anziehenden Nachfrage, gestoppt. So verkündet das amerikanische Versandhaus Montgomery Ward „Commodity Prices have gone up 50% to 150% - Yet Wards Prices are low“ (dt.: „Rohstoffpreise sind um 50% bis 150% gestiegen - noch sind Wards Preise niedrig“) und versucht damit Kunden zum Kauf zu bewegen.
Trotz der wirtschaftlichen Not und den finanziellen Einschränkungen während der Weltwirtschaftskrise kommt die Entwicklung der Mode nicht zum Stillstand, obwohl man gerade dies vermuten könnte. Alle Teile der Gesellschaft versuchen so gut es geht mit der modischen Entwicklung Schritt zu halten, was ein nicht zu unterschätzendes Argument für die Wichtigkeit und den gesellschaftlichen Stellenwert der Mode ist.
Die neue Weiblichkeit in der Mode
1930 setzt sich die sogenannte neue Silhouette, die sich bereits ab 1928 in der Damenmode abgezeichnet hat, endgültig durch. Die Jahre 1930 und 1931 sind durch eine neue feminine Mode und weiche Linien geprägt, die weibliche Rundungen wieder betont und charmante Damenhaftigkeit statt nüchterner Sportlichkeit propagiert. Charakteristisch für diese neue Linie der Mode ist eine hohe, immer stärkere Betonung der Taille zwischen 1930 und 1932, glockig weite und Falten werfende Röcke und deutlich längere Rocksäume, die bis 1932 wieder Wadenlänge erreichen.
Besonders deutlich wird der Modewandel aber in der Abendmode. Bei den Abendkleidern werden die Rocksäume wieder bodenlang. Die sehr hohe Empire-Taillierung wird wieder modern. Aber vor allem äußert sich in der Abendmode der frühen 30er Jahre ein gesteigertes Bedürfnis nach Luxus, der so ganz im Gegensatz zur wirtschaftlichen Lage steht. So stellt die Modejournalistin Stephanie Kaul in der Zeitschrift Die Dame im September 1930 fest:
„[E]s ist ein Erfahrungsgrundsatz, der sich im Laufe geschichtlicher Zeiten immer wieder bewahrheitet hat: je schlechter die eigentliche finanzielle Lage ist, desto größere Prunk- und Prachtanstrengungen macht die Mode.“1
Designer und Couturiers experimentieren vor allem in der Abendmode mit Modestilen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, die natürlich in abgewandelter und abgeschwächter Form übernommen werden und mit zeitlicher Verzögerung auch Einzug in die Tagesmode halten.
Ein neuer Trend, der die Mode der 30er Jahre bestimmen wird, zeigt sich dagegen ab Herbst 1931: beginnend mit hohen, breiten Pelzkrägen und spiralförmig geschlungenen Pelzbesätzen an den Unterärmeln von Mäntel im Winter 1931/32, über Capes, Doppelkrägen, Schultern- und Ärmelvolants in der Sommermode 1932, bis hin zu Puffärmeln in allen erdenklichen Variationen für Kleider aller Tageszeiten und jeglicher Anlässe, die schließlich in der Wintermode 1932/33 unverzichtbar werden und 1933 und 1934 immer groteskere Formen annehmen, zeigt sich ein immer stärker ausgeprägter Hang zur Betonung des Oberkörpers und der Schultern.
Der Grund für diese neu entdeckte Vorliebe liegt vor allem in der Tatsache begründet, dass die breiteren und volleren Schultern die Taille und vor allem die Hüften schmaler erscheinen lassen. Aber man möchte auch einen Kontrast zum verlängerten Unterkörper durch die längeren Rocksäume herstellen und den Oberkörper somit größer erscheinen lassen.
Fußnoten
1 Kaul, Stephanie, Die Herbst- und Winter-Mode. Die individuelle Mode, in: Die Dame, Nr. 26 (57), Zweites Septemberheft 1930, S. 14-15, hier S. 15.